Der Prinzregent Luitpold wurde sehr alt, aber er ließ sich auch im Alter die Mühen der Jagd nicht reuen; es ging die Rede im bayrischen Volk, wenn ihm der Tod den Stutzen nicht vorher aus der Hand nähme, würde er ewig regieren.
Es war kurz vordem, dass der Tod sich zu dieser Maßregel entschloss, als er noch einmal in sein geliebtes Oberstdorf kam, der Hochwildjagd nachzugehen. Da war es natürlich ein Fest für das Tal, dass der Prinzregent es höchsteigen beehrte. Die Fahnen hingen heraus, und am Bahnhof stand der Bürgermeister mit dem Gemeinderat hinter der weiblichen Singschar in der heimatlichen Tracht, den Landesherrn zu begrüßen.
Wie es ihm ginge? fragte der Prinzregent nach seiner leutseligen Art den Bürgermeister, als die Böller geknallt und die Mädchen gesungen hatten; denn er war immer dankbar, wenn ihm kein neues Gesicht in den Weg trat, und den alten Brack kannte er seit vielen Jahren.
»Wie soll es gehen?« gab der biedere Brack zurück, den man den Bräckle nannte, »man wird jedes Jahr älter und dümmer!« Damit hatte er natürlich sich selber gemeint; aber dem Prinzregenten mochte es notwendig scheinen sich aus der Verallgemeinerung abzusondern: »Ich merke nichts!« sagte er trocken lachend und betonte das Ich.
Zu solcher Unterscheidung war wiederum der Bräckle bei aller schuldigen Ehrfurcht wenig geneigt, der als Bürgermeister gewohnt war, recht zu behalten. »Wir selber merken’s nicht, Königliche Hoheit«, entgegnete er pfiffig, »aber diese!«, womit er, rundum zeigend, für sich den Gemeinderat und für den Landesherrn das Gefolge meinte.
S. 224 / 225 in: Fink-Henseler, Roland W. (Hrsg.):
Deutscher Anekdotenschatz.
Geschichten um bekannte und berühmte Persönlichkeiten.
Lechner Verlag 1991 ISBN 978-3811203433